"Grundlagen
der Gewaltwirkungsforschung –
wie wirkt Brutalität in Fernsehnachrichten und -filmen?
Eine allgemein verständliche Einführung für Laien."
(aus: "Wirkungen von Gewaltdarstellungen im Fernsehen",
unveröffentlichte Aufsatzsammlung)
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Einführung in die Gewaltwirkungsforschung können Sie
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Gliederung:
1.
Einleitung und Begriffsbestimmung
2. Wirkungstheorien
2.1 Die Katharsistheorie
2.1.1 Die Inhibitionstheorie
2.1.2 Die Theorie der kognitiven
Unterstützung
2.2 Die Stimulationstheorie
2.3 Die Habitualisierungstheorie
2.3.1 Die Emotionalisierungstheorie
2.4 Die Suggestionstheorie
2.5 Die Theorie vom Lernen am Modell
2.6 Die Theorie der Wirkungslosigkeit
3. Empirische Untersuchungen und Ergebnisse
3.1 Gewaltreduzierung durch Gewaltdarstellungen?
3.2 Gewaltförderung durch Gewaltdarstellungen?
3.2.1 Wirken Gewaltdarstellungen stimulierend?
3.2.2 Wirken Gewaltdarstellungen abstumpfend?
3.2.3 Wirken Gewaltdarstellungen suggestiv?
3.2.4 Wirken Gewaltdarstellungen lehrreich?
3.3 Wirkungslosigkeit von Gewaltdarstellungen?
4. Langzeitwirkungen
5. Besondere inhaltliche Merkmale
5.1 Realitätsnähe von Gewalt
5.2 Rechtfertigung von Gewalt
6. Zusammenfassung
7. Ausblick und Beurteilung
Fußnoten
1.
Einleitung und Begriffsbestimmung
Die Medienwirkungsforschung
hat sich in den vergangenen Jahrzehnten intensiv mit Gewalt in
Fernsehnachrichten und -filmen auseinandergesetzt. Das besondere
Interesse an dieser Thematik erklärt sich daher, dass das
Fernsehen in einem Umfang Gewalt darbietet, wie sie in der Realität
nicht anzutreffen ist. Hierdurch entstanden Befürchtungen,
dass diese konzentrierte Fernsehgewalt negative Einflüsse
auf das Verhalten oder die Einstellungen der Zuschauer haben könnte.
Insbesondere wurden schädliche Auswirkungen auf Kinder befürchtet,
die sich durch eine ständig zunehmende Kriminalitätsrate
zu bestätigen schienen. Infolgedessen wurden mehrere Theorien
entwickelt und zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, um
mögliche Wirkungsweisen zu erklären.
Ziel dieser Arbeit ist es, einen Überblick über die
theoretische und empirische Forschung zum Thema zu liefern. Hierbei
wird auch auf die besonderen methodischen Probleme in diesem Forschungsfeld
eingegangen und sollen abschließend sinnvolle Möglichkeiten
für eine zukünftige Forschung aufgezeigt werden. Gewalt
wird im Fernsehen in den verschiedensten Genres gezeigt. Der überwiegende
Teil findet in Western, Grusel-, Abenteuer-, Kriminal- oder Actionfilmen
statt, so dass die Gewaltforschung hier ihren Schwerpunkt hat.
Jedoch enthalten auch Zeichentrickfilme und Nachrichtensendungen
viele Gewaltdarstellungen. Dies ist vor allem bei der Bedeutung
der Realitätsnähe von gewalthaltigen Sendungen wichtig.
Da Gewaltdarstellungen auf Video-Cassetten in den letzten Jahren
eine zunehmend wichtigere Rolle spielen und dieses Medium mit
dem herkömmlichen Fernsehen eng verwandt ist, wurden im Ausblick
dieser Arbeit auch Forschungen zu diesem Thema einbezogen.
Der
Begriff "Gewalt" ist äußerst umfassend, so
dass es einer genaueren Begriffsbestimmung bedarf. (1) Merkwürdigerweise
wurde in vielen Untersuchungen zur Gewaltforschung eine Klärung
dieses Begriffes vernachlässigt. Dies ist aber notwendig,
um zu einer begründeten Gewalt-Definition zu gelangen, die
diesen Untersuchungen als Grundlage dienen könnte.
Zunächst kann man zwischen struktureller Gewalt und personaler
Gewalt differenzieren. Unter struktureller Gewalt versteht man
Gewalt, die aus dem Aufbau eines Gesellschaftssystems entsteht.
Sie ist im Gegensatz zur personalen Gewalt nicht sinnlich wahrnehmbar,
sondern lediglich verstandesmäßig erschließbar.
Dies ist darauf zurückzuführen, dass sich strukturelle
Gewalt häufig aus Traditionen und gesellschaftlichen Normen
entwickelt, die rational nicht fassbar sind. Ein Beispiel für
strukturelle Gewalt ist die untergeordnete Rolle von Frauen in
unserer Gesellschaft. Trotz rechtlicher Gleichstellung und einer
allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Zustimmung zur Gleichberechtigung,
werden Frauen faktisch weiterhin in vielen Lebensbereichen benachteiligt.
Die Diskussion um strukturelle Gewalt ist meist stark ideologisiert.
Strukturelle Gewalt wird häufig ähnlich dem marxistischen
Klassenkampfmodell als Unterdrückung des Einzelnen durch
Rollenzuweisungen und Hierarchien verstanden. Dabei wird aber
übersehen, dass in einer Gesellschaft vielfältige Wechselwirkungen
ablaufen, in dem jeder gleichzeitig "Unterdrückter"
und "Unterdrücker" sein kann. Diesem Prozess kann
sich kein Gesellschaftsmitglied entziehen. So "erlernen"
beispielsweise Mädchen ihr späteres weibliches Rollenverhalten
nicht nur von der Gesellschaft, sondern auch von ihrer eigenen
Mutter. Diese Rollenmuster finden sich in den Medien wieder und
werden zum Beispiel in Familienserien geradezu archetypisch zur
Charakterisierung von Vater, Mutter, Kind et cetera eingesetzt.
Strukturelle Gewalt wird in der Medienwirkungsforschung bislang
kaum berücksichtigt. Dies dürfte darauf zurückzuführen
sein, dass sie nicht sinnlich beobachtbar ist und ihre Auswirkungen
somit auch nicht direkt zähl- oder messbar. Daher wird strukturelle
Gewalt auch bei der Gewaltdefinition für diese Arbeit vernachlässigt.
Dabei böte strukturelle Gewalt möglicherweise eine Erklärung
für personale Gewalt. Hierunter versteht man Gewalt, die
von Individuen (einschließlich Gruppen von Individuen) ausgeht.
Personale Gewalt lässt sich in seelische Gewalt und körperliche
Gewalt unterscheiden. Beispiele für seelische Gewalt sind
Verfluchung, Beleidigung, Erpressung, Drohung oder Androhung körperlicher
Gewalt, also meist gestische oder verbale, nicht-körperliche
Angriffe gegen einen anderen. Neben diesen beobachtbaren Beispielen
gibt es jedoch auch Formen der seelischen Gewalt, die für
Außenstehende nicht ohne weiteres wahrnehmbar sind. Dies
sind verborgene zwischenmenschliche Verhaltensweisen wie Liebesentzug,
Verleumdung oder Diskriminierung. Somit ist auch seelische Gewalt
häufig nicht zähl- oder messbar, was der Grund für
ihre Vernachlässigung in der Medienwirkungsforschung sein
dürfte. Auch für die Gewaltdefinition dieser Arbeit
wird seelische Gewalt ausgeklammert.
Körperliche Gewalt ist die offensichtlichste Form der Gewalt.
Sie kann beispielsweise in Freiheitsberaubung, Schlägen,
Tritten oder dem Gebrauch von Waffen zum Ausdruck kommen und ist
sinnlich wahrnehmbar. Daher bezieht sich auch die Erforschung
der Wirkungen von Gewaltdarstellungen im Fernsehen hauptsächlich
auf körperliche Gewalt. Im Gegensatz zur strukturellen Gewalt
und zur seelischen Gewalt kann sich körperliche Gewalt nicht
nur gegen Personen, sondern auch gegen Gegenstände richten.
Für eine Definition von Gewalt ist die körperliche Schädigung
einer Person (oder die Beschädigung einer Sache) durch einen
anderen von zentraler Bedeutung. Solche Schädigungen sind
zum Beispiel Sachbeschädigung, Körperverletzung und
Tötung. Jedoch reicht zur Gewalt bereits eine Handlung aus,
die geeignet ist jemandem körperlich zu schaden, ohne dass
sie es tatsächlich tut. Ein Heckenschütze, der sein
Ziel verfehlt, ist genauso gewalttätig, wie ein Drängler
auf der Autobahn. Aufgrund der bisherigen Überlegungen lässt
sich der Begriff "Gewalt" für diese Arbeit nun
folgendermaßen definieren:
Gewalt
ist jede Handlung von Individuen, die Personen (beziehungsweise
Sachen) körperlichen Schaden zufügt oder hierzu geeignet
ist.
Für
diese Gewaltdefinition hat die Motivation des Gewaltausübenden
keine Bedeutung. Auch Kämpfe im Tierreich, brutale Comicgags,
Unfälle, Selbstmorde, Notwehr, sowie Tötung und Körperverletzung
aus Fahrlässigkeit oder Unwissenheit sind Ausdruck von Gewalt.
Eine Trennung zwischen ungewollter Handlung und Absicht lässt
sich nicht über den Begriff "Gewalt" erreichen,
sondern über den Begriff "Aggression". Aggression
ist Gewaltbereitschaft mit Schädigungsabsicht, wohingegen
einer unbeabsichtigt gewalttätigen Handlung keine Aggression
zugrunde liegt. Die Suche nach den Gründen für Gewalt
ist von immenser Bedeutung für die Medienforschung und die
Ursachen von Aggressionen wurden meist nicht untersucht. Jedoch
ist dies auch eher eine Aufgabe der Motivforschung als der Wirkungsforschung.
2.
Wirkungstheorien
Die Medienwirkungsforschung
hat in der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Modelle
entwickelt, um die Wirkung von Gewaltdarstellungen in den Medien
auf die Rezipienten zu erklären. Diese Theorien sind nicht
nur in mehrere Hauptrichtungen aufgespalten; nämlich danach,
ob Mediengewalt als hilfreich, schädlich oder bedeutungslos
anzusehen ist. Sie sind teilweise auch innerhalb dieser drei Erklärungsrichtungen
widersprüchlich. Viel schwerer wiegt zudem jedoch, dass bislang
keine einzige der Hypothesen als empirisch gesichert angesehen
werden kann. Auf die Beurteilungen dieser Wirkungstheorien und
die empirischen Untersuchungen wird erst im nächsten Kapitel
näher eingegangen. Im folgenden sollen zunächst einmal
die Theorien und einige ihrer wichtigsten Varianten dargestellt
werden:
2.1
Die Katharsistheorie
Diese Theorie geht, entsprechend der Triebtheorie Sigmund Freuds,
von einem dem Menschen angeborenen Aggressionstrieb aus. Demnach
entsteht im Menschen permanent aggressive Energie, die bestrebt
ist, sich nach außen zu entladen und auf diese Weise abzureagieren.
Nach der Katharsistheorie bewirken Gewaltdarstellungen in den
Medien, dass beim Rezipienten der Antrieb zur Ausführung
eigener gewalttätiger Handlungen abgebaut wird. Die Medien
schaffen dem Rezipienten demnach durch stellvertretende Gewalterlebnisse
ein Ventil, das eine psychische Reinigungsfunktion erfüllt.
(2)
2.1.1
Die Inhibitionstheorie
Alternativ zur Katharsistheorie wurde die Inhibitionstheorie entwickelt.
Sie stützt sich gezielt auf den ebenfalls in Freuds Triebtheorie
enthaltene Aspekt der Hemmung, die für einen Aggressionsausbruch
zunächst überwunden werden muss. So wird laut Inhibitionstheorie
durch die Beobachtung von Gewaltdarstellungen nicht innere Aggression
abgebaut, sondern Aggressionsangst ausgelöst. Durch diese
Angst wird beim Rezipienten die eigene Aggressionsbereitschaft
gehemmt. (3)
2.1.2
Die Theorie
der kognitiven Unterstützung
Eine weitere Variante der Katharsistheorie bildet die kognitive
Unterstützungstheorie. Nach ihr wird durch die Medien (insbesondere
bei Menschen mit niedriger Intelligenz und schwacher Einbildungskraft)
die Phantasie der Rezipienten angeregt. Durch mediale Gewaltdarstellungen
wird die Fähigkeit zur Kontrolle der eigenen Aggressionen
kognitiv unterstützt. (4)
2.2
Die Stimulationstheorie
In der Stimulationstheorie wird eine der Katharsistheorie widersprechende
Auffassung vertreten. Gewaltdarstellungen haben demnach keine
Ventilfunktion, sondern führen im Gegenteil zu einer aggressiven
Aufladung. Die Theorie hat zur Grundlage, dass Medieninhalte in
der Lage sind beim Rezipienten gefühlsmäßige Erregungen
zu bewirken. Nach der Stimulationstheorie wird somit durch Gewaltdarstellungen
die Aggressivität des Rezipienten gesteigert und seine Gewaltbereitschaft
erhöht. Aber auch nicht-gewalttätige Inhalte (wie zum
Beispiel erotische Darstellungen) können Aggressionen auslösen,
sofern sie durch entsprechende Umweltreize stimuliert werden.
(5)
2.3
Die Habitualisierungstheorie
Die Grundüberlegung der Habitualisierungstheorie ist, dass
eine dauerhafte Veränderung von Einstellungen kaum durch
einzelne Medienereignisse bewirkt werden kann. Daher werden in
dieser Theorie langfristige Wirkungen betont. Demnach stumpft
der Rezipient bei ständiger Konfrontation mit fiktiver Mediengewalt
nicht nur allmählich gegenüber diesen Gewaltdarstellungen
ab. Nach der Habitualisierungstheorie führt das wiederholte
Beobachten fiktiver Gewalt auch zu einer Gewöhnung an reale
Gewalt. Dies kann dazu führen, dass der Rezipient Gewalt
als normale Alltäglichkeit und als Mittel zur Konfliktlösung
ansieht. Längerfristig werden also Wandlungen der Persönlichkeitsstruktur
und der Moralauffassungen des Rezipienten befürchtet. (6)
2.3.1
Die Emotionalisierungstheorie
In der Emotionalisierungstheorie wird die Betonung nicht auf das
Moment der Gewöhnung gelegt, sondern auf die Ängstigung
des Rezipienten. Demnach entsteht durch den ständigen Konsum
fiktiver Gewaltdarstellungen beim Rezipienten eine übertriebene
emotionale Angst, die sich durch die Wirklichkeit nicht begründen
lässt. Dies kann zu einer unangemessen ängstlichen Persönlichkeit
führen. Im Gegensatz zur Inhibitionstheorie hat dies aber
keine Hemmung durch Aggressionsangst zur Folge, sondern kann in
bestimmten Situationen sogar aufgrund von Bedrohungsangst zu Gewaltausbrüchen
führen. (7)
2.4
Die Suggestionstheorie
Laut Suggestionstheorie kann mediale Gewalt unter bestimmten Bedingungen
ein ähnlich violentes Verhalten des Rezipienten bewirken.
Es wird zwar kein direkter Nachahmungseffekt (gemäß
einer verworfenen Imitationstheorie) vermutet. Aber es wird angenommen,
dass manche Rezipienten zu einem bestimmten Verhalten beeinflusst
werden, sofern sie dafür empfänglich sind. Dies kann
beispielsweise beim Tod von Prominenten der Fall sein (Marilyn
Monroe, James Dean), der eine Selbstmordwelle auslöst ("Werther-Effekt").
(8)
2.5
Die Theorie
vom Lernen am Modell
Auch bei der Theorie vom Lernen am Modell wird nicht von einer
direkten Nachahmung ausgegangen. Es besteht aber die Befürchtung,
dass Gewaltdarstellungen den Rezipienten (und vor allem Kindern)
Handlungsmuster bieten, die in vergleichbaren Situationen in gewalttätige
Handlungen umgesetzt werden. Am medialen Modell beobachtete erfolgreiche
Verhaltenstechniken werden demnach erlernt und erlangen Vorbildcharakter.
Anhand dieser fiktiven Gewaltvorbilder kann dann Gewalt in die
Realität umgesetzt werden. (9)
2.6
Die Theorie
der Wirkungslosigkeit
Die Anhänger dieser Theorie gehen davon aus, dass Gewalt
in den Medien keine bedeutenden negativen oder positiven Wirkungen
hat. Dies wird damit begründet, dass der Sozialisationsfaktor
"Medien" neben der Familie, der Schule, der Kirche,
dem Freundeskreis et cetera nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Weiter wird wahrheitsgemäß darauf verwiesen, dass bislang
noch keine der oben aufgeführten Theorien empirisch wirklich
belegt werden konnte. Diese Theorien halten demnach einer wissenschaftlichen
Überprüfung nicht stand. Jedoch ist bisher auch für
die Theorie der Wirkungslosigkeit noch kein wissenschaftlicher
Nachweis gelungen. (10)
3.
Empirische Untersuchungen und Ergebnisse
Wie
bereits angedeutet, war es, trotz zahlreicher empirischer Untersuchungen
in den letzten Jahrzehnten, bislang nicht möglich, befriedigende
Erklärungen für die Wirkung von Gewaltdarstellungen
in den Medien zu finden. Immer wieder konnten gegen die durchgeführten
Befragungen, Feld- und Laborexperimente neue berechtigte Einwände
vorgebracht werden. Zudem sind nicht nur die aufgestellten Wirkungstheorien
widersprüchlich. Auch die vorliegenden Untersuchungsergebnisse
lassen sich mehrdeutig interpretieren. Dennoch kann man anhand
der Studien einige Anhaltspunkte auf mögliche Wirkungsweisen
finden. Im folgenden werden daher einige der Untersuchungen vorgestellt
und deren Ergebnisse einer kritischen Beurteilung unterzogen.
3.1
Gewaltreduzierung durch Gewaltdarstellungen?
Um den Nachweis, dass Gewaltdarstellungen im Fernsehen eine Verringerung
der Gewaltbereitschaft von Rezipienten bewirken, war vor allem
Seymour Feshbach bemüht. Die von ihm aufgestellte Katharsistheorie
wurde bereits im vorigen Kapitel vorgestellt. Um seine Theorie
zu belegen, unternahm Feshbach eine Reihe von Experimenten:
Feshbach verglich in einer Laboruntersuchung das Verhalten von
männlichen Versuchspersonen nach dem Konsum eines gewalttätigen
oder eines neutralen Films. Die Hälfte der Testpersonen war
zuvor durch Beleidigungen verärgert worden. Die Aggressivität
der Versuchsteilnehmer wurde nach dem Film anhand von Wort-Assoziationen
und Einstellungsbefragungen ermittelt. Feshbach kam zu dem Ergebnis,
dass die verärgerten Männer, die den gewalttätigen
Film gesehen hatten, weniger aggressiv waren, als jene, die den
neutralen Film sahen. Die nicht-verärgerten Versuchspersonen,
die den gewalttätigen Film gesehen hatten, waren jedoch aggressiver,
als jene, die den neutralen Film sahen. Für Feshbach belegte
dies, dass mediale Gewalt bei erregten Personen kathartische Wirkungen
hat, bei nicht-erregten hingegen stimulierende. (11)
Michael Kunczik bringt jedoch gegen Feshbachs Experiment und dessen
Interpretation zahlreiche Einwände vor. Zunächst weist
er darauf hin, dass eine Verärgerung der Versuchspersonen
unter Laborbedingungen oft schwer zu bewirken ist, weil die Betroffenen
gelassener reagieren. Außerdem könnten die Filme ungeeignet
gewesen sein, da der als gewalttätig eingestufte Film (ein
Boxkampf) auch als Sportereignis aufgenommen werden kann. Der
neutrale Film (über die Verbreitung eines Gerüchtes)
könnte hingegen aggressiv wirken. Darüber hinaus unterließ
es Feshbach auch, das Interesse der Zuschauer an den Filmen, also
deren Aufnahmebereitschaft, zu überprüfen. Vor allem
kritisiert Kunczik aber, dass Feshbach nicht die Aggressivität
der Testpersonen vor dem Filmkonsum gemessen hat und somit keine
Basiswerte vorweisen kann. Die Untersuchungsergebnisse lassen
sich daher auch umgekehrt interpretieren. So kann der neutrale
Film eine Aggressivitätssteigerung bewirkt haben, die wegen
fehlender Basiswerte fälschlich als Aggressionsminderung
durch den Boxkampffilm gedeutet wurde. (12)
Zum weiteren Beleg der Katharsistheorie führte Feshbach eine
sechswöchige laborähnliche Studie durch, an der 400
Jungen im Alter zwischen 10 und 17 Jahren beteiligt waren. Untersucht
wurden Jungen aus Privatschulen, die aus der Ober- und Mittelschicht
stammten, und Jungen aus Heimen, die der sozialen Unterschicht
angehörten. Ein Teil dieser Jugendlichen durfte sechs Wochen
lang nur gewalttätige Fernsehsendungen anschauen, der andere
Teil ausschließlich nicht-violente Filme. Eine Einstufung
der Aggressivität der Jungen zu Beginn und am Ende der Untersuchung
erfolgte mit Hilfe von Befragungen der Jungen, aber auch ihrer
Lehrer, Heimleiter und Eltern. Zusammenfassend ermittelte Feshbach,
das die Jugendlichen aus Heimen, die nur nicht-gewalttätige
Sendungen sahen, anschließend als aggressiver eingestuft
wurden, als jene die nur aggressive Filme sehen konnten. Die Jugendlichen
aus Privatschulen zeigten jedoch ein genau gegenteiliges Verhalten.
(13)
Die Forschungsgruppe Kammerer schätzt diese Studie Feshbachs
allerdings als wenig beweiskräftig ein. (14) Gegen die Untersuchung
lassen sich nämlich wichtige Einwände vorbringen. So
können in der Heimsituation Gruppeneinflüsse gewirkt
haben, die die einzelnen Jungen in ihrem Verhalten manipulierten.
Außerdem kann schon alleine der Umstand, dass der Fernsehkonsum
im Gegensatz zu einer normalen Fernsehsituation reglementiert
wurde, eine Verärgerung der Jungen bewirkt haben. (15)
Feshbach stellte gemeinsam mit R. D. Singer noch die Theorie der
kognitiven Unterstützung auf. (16) Doch gelang es ihnen auch
bei dieser Variante der Katharsistheorie nicht, ihre These mit
Hilfe einer Studie empirisch zu untermauern. Auch eine Replikation
dieser Untersuchung durch W. D. Wells erbrachte keinen Beleg für
die Theorie der kognitiven Unterstützung. (17)
Auch die Inhibitionstheorie, die von einer Hemmung durch Aggressionsangst
ausgeht, ist nicht gesichert. Sie ist sehr leicht mit der Emotionalisierungstheorie
austauschbar, die von einer anderen Wirkung der Angst ausgeht.
Demnach kann Gewalt zu einer ängstlichen Persönlichkeit
mit einem sehr pessimistischen Weltbild führen. Dies könnte
also in bestimmten Situationen auch zu panikhaften Gewaltreaktionen
aus Bedrohungsangst führen. Was mag im Kopf des New Yorker
U-Bahn-Schützen Bernhard Goetz vorgegangen sein, als er sich
bedroht fühlte und daraufhin zur Waffe griff?
Alle Formen der Katharsistheorie erwiesen sich bislang als nicht
haltbar. Die ursprüngliche Ansicht, jede Form der Phantasiegewalt
wirke kathartisch, ließ sich ebenso wenig belegen, wie die
Vermutung, der Rezipient müsse für eine Katharsis bereits
vor dem Gewaltkonsum aggressiv eingestimmt sein. Auch die These,
dass eine kathartische Wirkung erzielt würde, wenn die Qualen
der Gewaltopfer besonders grausam und plastisch dargestellt würden,
ließ sich nicht halten. (18) Kunczik kommt daher in seiner
Schlussbetrachtung zu dem Fazit, "dass durch den Konsum von
Fernsehgewalt niemand friedlicher wird. Alle Varianten der Katharsisthese
sind empirisch widerlegt worden." (19) Diese Ansicht ist
heute herrschende Meinung. (20)
3.2
Gewaltförderung durch Gewaltdarstellungen?
Die der Katharsistheorie entgegenstehende Vermutung, dass mediale
Gewalt die Gewaltneigung der Rezipienten erhöht, hat sich
in zahlreichen Wirkungstheorien niedergeschlagen. Die wichtigsten
dieser Theorien wurden bereits im vorigen Kapitel vorgestellt.
Den deutlichsten Gegenpol zur Katharsistheorie bildet die Stimulationstheorie,
die statt einer Ventilfunktion von Gewaltdarstellungen sogar eine
aggressive Aufladung der Rezipienten befürchtet.
3.2.1
Wirken Gewaltdarstellungen stimulierend?
Zur Stimulationstheorie haben vor allem Leonard Berkowitz und
seine Mitarbeiter zahlreiche Laborexperimente durchgeführt.
Seine Untersuchungen liefen häufig nach dem gleichen Muster
ab. Von den meist männlichen Versuchspersonen wurde zunächst
ein Teil durch einen Mitarbeiter verärgert. Dann mussten
die Testpersonen Filme ansehen, die als gewalttätig beziehungsweise
nicht-gewalttätig eingestuft worden waren. Abschließend
wurde die Aggressivität der Versuchspersonen gemessen. Dies
geschah teilweise mit Hilfe von Elektroschocks, mit denen die
Versuchspersonen den Mitarbeiter, der sie vorher verärgert
hatte, bestrafen konnten. Berkowitz kam anhand derartiger Tests
zu dem Ergebnis, dass sich unter bestimmten Bedingungen die Gewaltbereitschaft
der Versuchsteilnehmer erhöht. Begünstigend wirkt hierbei
zum Beispiel, wenn die Filmgewalt als gerechtfertigt dargestellt
wird, wenn der Rezipient emotional erregt (also beispielsweise
verärgert) ist oder wenn ein gewaltauslösender Umweltreiz
(unsympathischer Mitarbeiter) hinzu kommt. (21)
Kunczik bringt gegen Berkowitzs Untersuchungen im wesentlichen
drei Einwände vor. Zum einen sei (wie bei Feshbach) der als
gewalttätig eingestufte Film (über einen Boxkampf) ungeeignet.
Zum anderen hält Kunczik die Elektroschocks für untauglich,
um damit die Aggressivität der Versuchspersonen zu messen.
Er verweist darauf, dass den Testteilnehmern die Stromstöße
als schwach und ungefährlich sowie als ein für die "Opfer"
hilfreiches Feedback in einem Lernexperiment erläutert wurden.
Dies war eine notwendige Voraussetzung, um den Versuchspersonen
überhaupt erst einmal die Hemmungen zum Verteilen der Elektroschocks
zu nehmen. Doch selbst wenn man hiervon absieht, ist für
Kunczik viel entscheidender, dass die auf diese Weise erzielten
Messergebnisse nicht sehr überzeugend sind. Die ermittelten
Unterschiede zwischen den einzelnen Versuchsgruppen sind nur minimal.
(22)
R. D. Parke und seine Mitarbeiter führten drei den Berkowitz'schen
Untersuchungen vergleichbare Feldstudien durch. Im Gegensatz zu
Laborexperimenten bieten Feldexperimente den Vorteil, dass sie
in der gewohnten Umgebung der Versuchspersonen durchgeführt
werden. Dadurch hofft man, wirklichkeitsnähere Ergebnisse
zu erzielen, setzt sich aber gleichzeitig dem Problem unkontrollierbarer
Umwelteinflüsse aus. Parke untersuchte straffällig gewordene
Jungen im Alter zwischen 12 und 19 Jahren in Erziehungsheimen.
Zwei der Experimente wurden in den Vereinigten Staaten über
einen Zeitraum von sieben Wochen und in Belgien über einen
Zeitraum von drei Wochen durchgeführt. Während des ersten
Teils der Untersuchung wurde das Verhalten der Jugendlichen für
drei Wochen beobachtet (in Belgien eine Woche). Anschließend
bekam eine Testgruppe an fünf aufeinander folgenden Tagen
jeweils einen violenten Film gezeigt, während eine Kontrollgruppe
lediglich spannende, aber nicht-gewalttätige Filme sah. Das
reguläre Fernsehprogramm durfte an diesen Tagen nicht eingeschaltet
werden. Im abschließenden Teil der Untersuchung wurden die
Jugendlichen dann wieder drei Wochen lang beobachtet (in Belgien
eine Woche). In der dritten Feldstudie wurde in den USA gezielt
der Zusammenhang zwischen Umfang des Gewaltkonsums und gewalttätigem
Verhalten untersucht. Hierzu bekam eine Gruppe Jungen wie in den
beiden anderen Studien fünf violente Filme gezeigt, eine
andere Testgruppe nur einen gewalttätigen Film und eine dritte
Kontrollgruppe nur einen neutralen Film. Parke kam bei allen drei
Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die Aggressivität in
den Testgruppen anstieg. Dabei war die Gewaltbereitschaft bei
den Jugendlichen am größten, die die meisten gewalttätigen
Filme gesehen hatten. Die Jungen, die schon in den ersten drei
Beobachtungswochen am aggressivsten waren, hatten anschließend
auch den stärksten Zuwachs der Aggressivität. (23)
Doch lassen sich auch gegen die drei Feldexperimente Parkes Einwände
geltend machen. Die Forschungsgruppe Kammerer weist darauf hin,
dass das Verhalten von kriminellen Erziehungsheiminsassen nicht
unbedingt auf normale Jugendliche übertragbar ist. Außerdem
sind die Jungen durch das Aufsichtspersonal und durch ihre Kameraden
Gruppeneinflüssen ausgesetzt, die sich in solch einer Studie
kaum kontrollieren lassen. Zudem entsprach das fünftägige
Verbot des regulären Fernsehprogramms nicht der normalen
Fernsehsituation, was schon ausgereicht haben könnte, um
die Jugendlichen zu verärgern. (24)
Es gilt als empirisch belegt, dass mediale Darstellungen in der
Lage sind, beim Rezipienten gefühlsmäßige Erregungen
zu erzeugen. Demnach dürfen laut Kunczik die in den beschriebenen
Untersuchungen festgestellten Aggressivitätssteigerungen
nicht allein als Folge der konsumierten Fernsehgewalt angesehen
werden. So kann die erhöhte Gewaltbereitschaft auch lediglich
als Folge einer allgemeinen Erregung interpretiert werden. Umgekehrt
können daher auch nicht-gewalttätige Medieninhalte (wie
beispielsweise erotische Darstellungen) größere Aggressionen
auslösen, als ein gewalttätiger, aber weniger erregender
Inhalt. (25)
3.2.2
Wirken Gewaltdarstellungen abstumpfend?
Der Mensch besitzt mit seiner Fähigkeit, sich an Umwelteinflüsse
zu gewöhnen, einen höchst sinnvollen, längerfristig
wirkenden Anpassungsmechanismus. Durch diese Möglichkeit,
seine emotionale Erregbarkeit immer wieder abzubauen, ist der
Mensch in der Lage sich psychisch zu entlasten. Ein Mensch, der
auf jeden Reiz immer wieder mit einer gleichbleibend hohen Erregung
reagieren würde, wäre ein mitleiderregendes, anpassungsgestörtes
Wesen. Dies gilt auch für Reaktionen auf mediale Gewaltdarstellungen.
Eine Abstumpfung gegenüber fiktiver Gewalt ist somit ein
völlig normaler, natürlicher Vorgang. Die Habitualisierungstheorie
geht nun davon aus, dass diese Gewöhnung an fiktive Gewalt
auch ein Abstumpfen gegenüber realer Gewalt zur Folge hat.
Zur Habitualisierungstheorie liegen bislang nur wenige empirische
Untersuchungen vor. Ein von R. S. Drabman und M. H. Thomas durchgeführtes
Experiment untersuchte die Toleranz von Kindern gegenüber
den Streitigkeiten ihrer jüngeren Spielkameraden. Drabman
und Thomas kamen zu dem Ergebnis, dass Kinder, die zuvor einen
gewalttätigen Film gesehen hatten, weniger gewillt waren
Streits zu schlichten, als Kinder die keinen violenten Film sahen.
(26) Nach Meinung von Kunczik sprechen die meisten Studien allerdings
eher gegen die Habitualisierungstheorie. (27)
Auch die Emotionalisierungstheorie, die eine Gegenthese zur Inhibitionstheorie
bildet, konnte bislang empirisch nicht abgesichert werden. Die
Emotionalisierungstheorie ist vor allem für die Vielseherforschung
bedeutsam. Es stellte sich aber bei den hierzu angestellten Untersuchungen
heraus, dass die vermehrte Furcht von Vielsehern hauptsächlich
auf ihre tatsächliche Umweltsituation zurückzuführen
ist. Die Gewaltdarstellungen der Medien spielen hierbei erst in
zweiter Linie eine Rolle. (28)
3.2.3
Wirken Gewaltdarstellungen suggestiv?
Die Suggestionstheorie wird heute zu Hilfe genommen, um bestimmte
gesellschaftliche Phänomene zu erklären. So wurde beispielsweise
festgestellt, dass sich, nach einer Berichterstattung der Medien
über Selbstmorde, die allgemeine Selbstmordrate auffallend
erhöht ("Werther-Effekt"). D. P. Phillips konnte
diesen Zusammenhang sowohl in Großbritannien als auch in
den Vereinigten Staaten anhand von Studien belegen. Seine Untersuchungen
zeigen jedoch nicht nur eine Zunahme von Selbstmorden auf, sondern
auch von tödlichen Verkehrsunfällen. Darüber hinaus
ermittelte Phillips, dass sich der Anstieg überwiegend auf
das Verbreitungsgebiet der berichtenden Medien begrenzt. Außerdem
stellte er fest, dass die Zunahme der Suizide und Unfälle
um so größer ist, je mehr Aufmerksamkeit der vorangegangene
Selbstmord erregt hat. Ein weiteres Phänomen machte Phillips
bei der Wirkung von Berichten über Boxkämpfe aus. Er
ermittelte nach Schwergewichtskämpfen ein Ansteigen der Mord-
und Totschlagfälle um 12,4 Prozent. Hierbei war der Zusammenhang
zwischen der Rasse des besiegten Boxers und der Gewaltopfer auffallend.
Wenn der Besiegte ein Neger war, wurden mehr Farbige umgebracht,
aber nicht mehr Weiße. War der geschlagene Boxer hingegen
weißer Hautfarbe, stieg die Zahl der getöteten Weißen
an, jedoch nicht die der Farbigen. (29)
Diese eindrucksvollen Ergebnisse können jedoch nicht als
einfache Nachahmungstaten interpretiert werden. Man geht inzwischen
im allgemeinen davon aus, dass mediale Gewaltdarstellungen zu
keiner direkten Nachahmung führen. Es wird aber angenommen,
dass Rezipienten durch Medienereignisse unbewusst seelisch beeinflusst
werden können. (30) Dies könnte dann um so leichter
der Fall, wenn der Rezipient für solch ein Ereignis besonders
empfänglich ist (zum Beispiel durch eine psychische Krise)
oder seine Umweltsituation der Mediensituation ähnelt (beispielsweise
bei Rassenkonflikten).
3.2.4
Wirken Gewaltdarstellungen lehrreich?
Die Wirkungstheorie vom Lernen am Modell ist im wesentlichen mit
dem Namen Albert Bandura verbunden. Bandura vermutet, dass ein
Rezipient von Gewaltdarstellungen durch Beobachtungslernen gewalttätige
Handlungsmuster erlernt. Diese bleiben zwar in der Regel latent,
können aber in bestimmten Situationen auch wieder in Gewalt
umgesetzt werden. Man muss also zwischen dem Erwerb des Handlungsmusters
und seiner Ausführung unterscheiden, da nicht alle erlernten
Modelle auch ausgeführt werden. Jedoch können diese
medialen Gewalthandlungen um so eher als Vorbild dienen, je erfolgreicher
das Modell dargestellt worden ist. Bandura hat, um die Theorie
vom Lernen am Modell zu belegen, Laboruntersuchungen mit Kleinkindern
im Alter zwischen vier und sechs Jahren durchgeführt. Aus
den Kindern wurden fünf Gruppen gebildet: Die erste Gruppe
wurde in ein Zimmer mit Spielsachen geführt und sah dort,
wie ein Erwachsener eine aufblasbare Plastikpuppe (mit dem Namen
"Bobodoll") gewalttätig traktierte. Die zweite
Gruppe beobachtete dieselbe Szene als Film, die dritte Gruppe
als Zeichentrickfilm. Zur Kontrolle wurde der vierten Gruppe die
Situation in einer nicht-gewalttätigen Filmfassung gezeigt
und der fünften Gruppe überhaupt nicht. Anschließend
wurden die Kinder frustriert und einzeln in ein Zimmer geführt,
das eine ähnliche Situation bot, wie sie zuvor von den Kindern
beobachtet worden war. Neben der gleichen Einrichtung und dem
gleichen Spielzeug, war vor allem auch wieder die Plastikpuppe
vorhanden. Bandura kam zu dem Ergebnis, dass die Kinder, denen
das gewalttätige Modell gezeigt worden war, sich anschließend
deutlich aggressiver verhielten, als die Kinder aus den beiden
Kontrollgruppen. Zwar war die Aggressivität bei der Zeichentrickfilm-Gruppe
niedriger, aber alle Kinder, die die Gewalthandlungen gesehen
hatten, erlernten dieses Verhalten und imitierten es. (31)
Sowohl Kunczik, als auch Helga Theunert melden gegen die Schlussfolgerungen
Banduras entschiedene Zweifel an. Zum einen seien die Laborexperimente
zu realitätsfern, um auf den Fernsehalltag von Kindern übertragen
werden zu können: Die Szene mit der Plastikpuppe entspricht
nicht der üblichen Fernsehgewalt und wirke daher besonders
unecht. Die Kinder würden durch die fremde Laborsituation
verunsichert, wüssten nicht wie sie sich verhalten sollen
und neigten daher um so leichter dazu, dass Vorbild des erwachsenen
Modells nachzuahmen. Ebenso könnten die Kinder in dieser
unbekannten Situation nicht ahnen, dass das Attackieren der Spielzeugpuppe
negativ beurteilt wird. Zum anderen habe das bei den Kindern beobachtete
Verhalten keine wirkliche Aussagekraft: So verfügen Kleinkinder
noch nicht über einen ausreichend ausgebildeten Normenkatalog,
der es ihnen ermöglicht Angriffe gegen die Plastikpuppe als
"böse" einzuordnen. Die Puppe lüde durch ihre
Eigenschaft, sich immer wieder "unverletzt" und selbstständig
aufzurichten, sogar zu neuen Stößen ein. So sei zweifelhaft,
ob Bandura überhaupt aggressives Gewaltverhalten oder lediglich
sehr aktives Spielen beobachtet hat. (32) Nach der, in der Einleitung
dieser Arbeit dargelegten, sehr umfassenden Gewaltdefinition,
ist das Traktieren einer Puppe auf jeden Fall körperliche
Gewalt gegen Sachen. Ob diesem rabiaten kindlichen Spiel allerdings
auch eine Schädigungsabsicht (und somit Aggression) unterstellt
werden kann, ist zweifelhaft.
Kunczik meint zusammenfassend, dass mediale Handlungsmuster und
Modelle um so eher angewendet werden, je erfolgreicher und realitätsnäher
sie sind. Dabei werden Modelle bevorzugt, die Ähnlichkeiten
mit dem Rezipienten aufweisen oder sich als "guter Held"
zur Identifikation besonders anbieten. Kunczik hält eine
Anwendung der erlernten Modelle dann für am wahrscheinlichsten,
wenn sie der realen Situation ähneln (beispielsweise durch
vergleichbare Tatorte, Opfer, Waffen) und vor allem wenn der Rezipient
zur Gewaltanwendung veranlagt ist. (33)
3.3
Wirkungslosigkeit von Gewaltdarstellungen?
Die Anhänger der Theorie der Wirkungslosigkeit verweisen
darauf, dass bislang noch keine Untersuchung beweisen konnte,
dass der Konsum von medialen Gewaltdarstellungen eine langfristige
Ab- oder Zunahme der realen Gewalt zur Folge hat. Keine der in
den ersten beiden Abschnitten dieses Kapitels untersuchten Theorien
konnte empirisch wirklich belegt werden. Sie halten somit einer
streng wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand. Man
solle, statt die in zahlreichen Studien nahe Null liegenden Korrelationen
als Gewaltwirkungen fehlzudeuten, diese als das sehen, was sie
tatsächlich sind: Nämlich zufällige Messabweichungen,
die letztlich nur bestätigen, dass es keinen Zusammenhang
zwischen medialer und realer Gewalt gibt. Weiter sagen die Vertreter
der Wirkungslosigkeitstheorie, dass die Medien im Vergleich zu
anderen Sozialisationsfaktoren, wie Familie, Schule oder Kirche,
nur von untergeordneter Bedeutung seien. Diese gesellschaftlichen
Institutionen hätten einen wesentlich wichtigeren normativen
Einfluss als das Fernsehen. Die zunehmende Gewalttätigkeit
in unserer Gesellschaft, sei daher auch auf die Gesellschaft selbst
zurückzuführen und nicht auf mediale Gewaltdarstellungen.
(34)
Jedoch muss auch bei der Theorie der Wirkungslosigkeit berücksichtigt
werden, dass sie bislang nicht bewiesen werden konnte. Der Umstand,
dass bislang keine Wirkungen von Gewaltdarstellungen nachgewiesen
wurden, reicht zum Umkehrschluss der Wirkungslosigkeit nicht aus.
Auch können kleine Messergebnisse nicht einfach als zufällige
Abweichungen vom Nullwert abgetan werden. Denn selbst eine nur
minimale Förderung von Gewalt könnte bei einem millionenfachen
Fernsehpublikum zu einer gesellschaftlich bedeutsamen Zahl gewalttätiger
Rezipienten führen.
4.
Langzeitwirkungen
Die
im vorangegangenen zweiten Kapitel dargestellten empirischen Untersuchungen
sowie deren Hauptergebnisse können lediglich einen beispielhaften
(aber typischen) Überblick über die vielfältigen
Ansätze und Schwierigkeiten der Gewaltwirkungsforschung bieten.
In den beschriebenen Studien wurde zumeist nur das kurzfristige
Verhalten der Versuchspersonen nach einem speziellen medialen
Gewaltereignis untersucht. Die möglichen langfristigen Auswirkungen
eines andauernden Fernsehgewaltkonsums auf die Einstellungen der
Rezipienten wurden hingegen nur selten erforscht. Dabei sind jedoch
gerade die Einstellungsänderungen im Gegensatz zu den kurzfristigen
Verhaltensabweichungen von besonderer Bedeutung. Im folgenden
sollen daher drei exemplarische Langzeituntersuchungen dargestellt
und einige Erklärungsversuche für mediale Langzeitwirkungen
aufgezeigt werden.
J. L. Singer, D. G. Singer und W. S. Rapaczynski unternahmen eine
mehrjährige Felduntersuchung mit 63 Kindern. Die Kinder waren
am Anfang der Studie vier Jahre alt und zum Schluss neun Jahre.
Innerhalb dieses Zeitraums wurden mit den Kindern und ihren Müttern
drei Interviews durchgeführt. Untersucht wurde sowohl die
Fernsehnutzung der Kinder (insbesondere der Konsum von realistischen
und fiktiven Gewaltdarstellungen), als auch das familiäre
Umfeld (beispielsweise der Erziehungsstil und das Verhalten der
Mutter). Singer und seine Kollegen kommen zu dem Ergebnis, dass
Fernsehgewalt Langzeitwirkungen hat. Dabei hat das Fernsehen sogar
einen etwas stärkeren Einfluss auf das spätere Verhalten
und die Einstellungen der Kinder, als die Familie. (35) Michael
Schenk fasst das Ergebnis der Studie wie folgt zusammen: "Hoher
TV-Konsum von realistischen Gewaltdarstellungen führt zu
späterem aggressiven Verhalten, zu Ruhelosigkeit und zu einer
negativen Überzeugung bezüglich der Eigenschaften der
Welt." (36)
Wenngleich diese Untersuchung sehr sorgfältig durchgeführt
worden zu sein scheint (Schenk kommentiert die Studie in einer
einleitenden Übersicht seiner Auswahlbibliographie nur sehr
knapp), sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Versuchsgruppe
mit 63 Kindern relativ klein und nicht unbedingt repräsentativ
ist. Es stellt sich ebenfalls die Frage, ob die mit Kleinkindern
und Grundschülern gewonnenen Ergebnisse auch auf andere Altersgruppen
übertragbar sind. Bei den Lernexperimenten Banduras wurde
ja bereits darauf hingewiesen, dass bei jungen Kindern nicht unbedingt
die gleichen kognitiven und normativen Maßstäbe angesetzt
werden können, wie bei älteren Kindern, Jugendlichen
oder gar Erwachsenen. In den beiden nun folgenden Studien wurden
wesentlich größere Versuchsgruppen untersucht und ältere
Testpersonen ausgewählt.
An einer Langzeituntersuchung von William A. Belson waren 1.565
Jungen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren beteiligt. Belson ermittelte
den Umfang des Gewaltkonsums der Jugendlichen anhand der Bekanntheit
von 68 Fernsehsendungen, die zuvor von Experten als gewalttätig
eingestuft worden waren. Anschließend wurde das sich ergebende
Spektrum von Viel- bis Wenigsehern in der Mitte zweigeteilt und
somit eine Vielsehergruppe und eine Kontrollgruppe geschaffen.
Die Gewaltbereitschaft der Versuchspersonen wurde mit Hilfe von
Befragungen ermittelt, in denen die Jungen angeben mussten, an
wievielen Gewalttaten sie im vergangenen halben Jahr beteiligt
waren. Nach diesen Selbstangaben waren 54 Prozent in keine, 11
Prozent in vier bis neun und 12 Prozent in zehn oder mehr ernste
Gewalttätigkeiten verwickelt gewesen. Belson kam zu dem Ergebnis,
dass hoher Gewaltkonsum zwar mit häufigen Gewaltakten zusammenhängt,
nicht aber häufige Gewaltakte mit hohem Gewaltkonsum. Gewalthaltige
Sendungen, die Gewalt als gerechtfertigt darstellen, oder die
Gewalt sehr realistisch präsentieren, oder die Gewalt als
Selbstzweck zeigen, oder die persönliche Beziehungen in den
Mittelpunkt stellen, sind anscheinend zur Erhöhung der Gewaltbereitschaft
besonders geeignet. Nach Meinung von Belson ist für die Zunahme
der Gewaltbereitschaft vor allem eine durch die Gewaltdarstellungen
bewirkte Enthemmung der Rezipienten verantwortlich. (37)
Doch lassen sich auch gegen diese Langzeituntersuchung einige
wichtige Einwände machen. Zum einen bleibt die Einstufung
der 68 Fernsehsendungen durch sogenannte "Experten"
unklar. Offensichtlich ist nur, dass die Auswahl subjektiv erfolgte
und keine systematische Inhaltsanalyse durchgeführt worden
war. Es wurde ebenfalls nicht überprüft, inwieweit diese
Sendungen von den Testpersonen als gewalttätig empfunden
wurden. Auch mutet Belsons Vorgehen, die Versuchspersonen einfach
in der Mitte nach Viel- und Wenigsehern aufzuteilen, seltsam an.
Durch diese Zweiteilung wird eine willkürliche Grenze gezogen,
die aber keine qualifizierte Aufteilung nach Vielsehern und Kontrollpersonen
darstellt. (38)
Die dritte Langzeitstudie, die hier vorgestellt werden soll, wurde
von J. R. Milavsky und seinen Mitarbeitern über eine Dauer
von drei Jahren durchgeführt. An der Untersuchung nahmen
2.400 Jungen und Mädchen im Grundschulalter und 800 männliche
Jugendliche teil, die zu Beginn der Studie zwischen 7 und 12 Jahren,
beziehungsweise zwischen 12 und 16 Jahren alt waren. Bei beiden
Gruppen wurde der Konsum von Fernsehgewalt durch Selbstangaben
bestimmt, die Einstufung der Aggressivität erfolgte bei den
Grundschulkindern durch Gleichaltrige, bei den Jugendlichen durch
Selbstangaben. Im Laufe des Untersuchungszeitraums wurden die
Versuchspersonen fünf- bis sechsmal befragt. Die Analyse
der erhaltenen Daten wurde extrem sorgfältig durchgeführt,
wobei auch alle denkbaren Zusammenhänge berücksichtigt
wurden, und zog sich über zehn Jahre hin. Kritiker schlossen
aus dieser langen Auswertungsdauer auf Datenmanipulationen. Milavsky
entgegnete dem mit dem Hinweis auf ein besonders gründliches
Vorgehen und meint, keine nennenswerten Zusammenhänge zwischen
Fernsehgewalt und späterer Gewaltbereitschaft zu erkennen.
Die ermittelten Abweichungen vom Nullwert beliefen sich lediglich
auf zwei Stellen hinter dem Komma. Andere sehen hierin allerdings
durchaus ein Indiz für eine Gewaltstimulation einzelner Versuchspersonen.
(39)
Auch bei Langzeitstudien lassen sich ähnliche Probleme feststellen,
wie bei kurzfristiger angelegten Untersuchungen. Häufig sind
berechtigte Einwände gegen das methodische Vorgehen möglich,
so dass oft die gesamte Studie in Frage gestellt werden kann.
Dies ist teilweise bei Anzahl und Auswahl der Versuchspersonen
oder beim berücksichtigten Filmmaterial der Fall. Weiter
werden oft nur geringe Korrelationswerte ermittelt, so dass die
erhaltenen Daten sowohl als Stimulus oder auch als Wirkungslosigkeit
interpretiert werden können. Einen endgültigen wissenschaftlichen
Beweis konnte bislang keine Untersuchung liefern - zumal sich
die Ergebnisse teilweise sogar widersprechen und lediglich einige
Hinweise auf mögliche Gewaltwirkungen liefern. Besonders
bei Langzeitstudien ist zu vermuten, dass die Wirkung von anderen
sozialen Einflussfaktoren auf die Rezipienten groß ist.
Das Ergebnis der Untersuchung Singers, dass das Fernsehen sogar
größere Wirkungen als die Einflüsse innerhalb
der Familien hat, ist überraschend und lässt andere
Sozialisationsfaktoren unberücksichtigt. Ein besonderer (eher
praktischer Nachteil) von Langzeituntersuchungen ist ihr zwangsläufig
großer Zeitaufwand. Nicht jede Institution hat die finanziellen
Mittel, um mehrere Jahre an einer einzigen Untersuchung zu arbeiten.
Jedoch sind Langzeitstudien die einzige Möglichkeit, um langfristige
Auswirkungen von Gewaltdarstellungen auf die Einstellungen der
Rezipienten zu erforschen.
5.
Besondere inhaltliche Merkmale
Wie
die im vorherigen dritten Kapitel beschriebene Langzeituntersuchung
von Singer, Singer und Rapaczynski bereits zeigte, scheint insbesondere
realistische Fernsehgewalt große Wirkungen auf die Rezipienten
zu haben. Die Gewaltforschung setzt sich in den vergangenen Jahren
verstärkt mit den Wirkungen spezieller Inhalte von Gewaltdarstellungen
auseinander. Eines dieser inhaltlichen Merkmale von Fernsehgewalt
ist die Realitätsnähe der Darstellungen.
5.1
Realitätsnähe von Gewalt
Tom van der Voort hat zu den Unterschieden zwischen realer und
fiktiver Fernsehgewalt die Wirkung von Spiel- und Zeichentrickfilmen
auf Kinder verglichen. In einer Laboruntersuchung bekamen 314
Kinder im Alter zwischen 9 und 13 Jahren vier gewalttätige
Comicfilme (wie zum Beispiel "Popeye" oder "Tom
und Jerry") sowie jeweils zwei violente Kriminal- und Abenteuerfilme
gezeigt. Van der Voort stellte fest, dass die Kriminalfilme als
am gewalttätigsten und am realistischsten aufgenommen wurden
und die Kinder am meisten erregten. Die gewalthaltigen Zeichentrickfilme
wurden hingegen nicht ernst genommen und als realitätsfern
eingeschätzt. (40)
Ein weiteres Laborexperiment wurde von C. Atkin mit 98 Jugendlichen
beiderlei Geschlechts durchgeführt. Die Jungen und Mädchen
wurden in drei Gruppen aufgeteilt und musste unterschiedliche
Versionen eines Fernsehprogramms sehen. Die erste Filmversion
zeigte eine Nachrichtensendung und die zweite Version einen Unterhaltungsfilm,
die beide jeweils eine identische Gewaltsequenz enthielten. Die
dritte Gruppe bekam zur Kontrolle einen neutralen, nicht-gewalthaltigen
Film gezeigt. Anschließend wurde untersucht, inwieweit die
Versuchspersonen die Filme als real auffassten und ob ihnen die
Sendungen gefallen hatten. Atkin sah seine ursprünglichen
Vermutungen bestätigt: Die realistische Gewaltdarstellung
in der Nachrichtensendung erzeugte bei den Jugendlichen mehr nachfolgende
Aggressivität, als das Unterhaltungsprogramm. Und beide gewalttätigen
Filmversionen weckten mehr Gewaltbereitschaft, als der neutrale
Kontrollfilm. Das Ausmaß der Aggressivitätssteigerung
ist somit sehr von der Einschätzung der Realitätsnähe
einer Sendung abhängig. (41) "Die Gewalt in Nachrichten
wird für realer gehalten als Gewalt im Unterhaltungsprogramm,
sie wird als aktueller und als der Wirklichkeit ähnlicher
wahrgenommen als fiktive Gewalt, findet daher auch mehr Aufmerksamkeit."
(42)
Ein anderes Laborexperiment wurde zu diesem Thema von M. H. Thomas
und seinen Mitarbeitern unternommen. Sie untersuchten, wie sich
der Konsum fiktiver Fernsehgewalt auf das Empfinden späterer
realer Gewaltdarstellungen auswirkt. Hierzu wurden Versuche mit
Kindern und Studenten beiderlei Geschlechts gemacht. Eine Versuchsgruppe
sah zunächst eine fiktive, gewalthaltige Fernsehsendung,
während einer Kontrollgruppe ein nicht-gewalttätiger
Film gezeigt wurde. Anschließend bekamen beide Gruppen einen
Videofilm mit realer Gewalt gezeigt. Während der Versuche
wurden die physiologische Reaktionen (Schweißabsonderung
et cetera) der Versuchspersonen gemessen, um deren Erregung festzustellen.
Außerdem wurde ermittelt, in welchem Ausmaß die Versuchspersonen
üblicherweise Mediengewalt konsumieren. Thomas kam zu dem
Resultat, dass die Personen, die zuvor die fiktive Gewaltdarstellung
gesehen hatten, durch den realen Gewaltfilm weniger erregt wurden,
als die Mitglieder der Kontrollgruppe. Diese Abstumpfung gegenüber
Gewalt ist um so größer, je höher auch der alltägliche
Gewaltkonsum der Rezipienten ist. (43) Merkwürdigerweise
scheint dieses Experiment also die Habitualisierungstheorie zu
bestätigen, die Kunczik eher für unwahrscheinlich hält.
Leider beurteilt Schenk die in seiner Auswahlbibliographie dargelegten
Untersuchungen nur sehr knapp. Somit ist eine Einschätzung
der beiden letztgenannten Laborexperimente nur schwer möglich.
Dies ist besonders beim von Thomas und seinen Mitarbeitern ermittelte
Abstumpfungseffekt bedauerlich, da dies der Mehrzahl der bisherigen
Untersuchungsergebnisse widerspricht. Es stellt sich bei Laboruntersuchungen
aber immer die Frage, ob nicht schon alleine die Laborsituation
die Testergebnisse beeinflusst. Waren die Versuchsgruppen genügend
repräsentativ und ausreichend groß (bei den Experimenten
von Thomas gibt Schenk nicht einmal die Anzahl der Versuchspersonen
an)? War das verwendete Filmmaterial zuvor entsprechend ausgewählt,
analysiert und eingestuft worden und somit auch für die Experimente
hinreichend geeignet? Wie groß sind die ermittelten Korrelationswerte?
Diese Fragen werden in dieser Arbeit ausgeklammert. Ungeachtet
dessen bieten die vorliegenden Untersuchungen dennoch interessante
Anhaltspunkte zur Bedeutung der Realitätsnähe von Fernsehgewalt.
5.2
Rechtfertigung von Gewalt
Wie bereits im dritten Kapitel beschrieben, vermutete Belson in
seiner Langzeituntersuchung unter anderem dann eine Aggressivitätssteigerung
der Rezipienten, wenn Gewalt im Dienste der Gerechtigkeit dargestellt
wird. Auch Berkowitz schloss aus seinen Laborexperimenten zur
Stimulationstheorie, dass gerechtfertigte Gewaltdarstellungen
unter bestimmten Bedingungen zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft
führen können. Gegen diese Untersuchungen lassen sich
aber auch gewichtige Einwände vorbringen, die in dieser Arbeit
bereits an entsprechender Stelle behandelt wurden und die die
Gültigkeit der Studienergebnisse zumindest teilweise in Frage
stellen.
Zum Thema Rechtfertigung von Fernsehgewalt konnten auch B. Jennings,
R. A. Carveth und D. Brown einen interessanten Beitrag leisten.
Im Rahmen eines Experiments, das sich mit der Ängstlichkeit
von Vielsehern befasste, untersuchten sie die Wirkungen von Gewaltdarstellungen
in denen Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit überwiegt. Bei
90 Studenten wurden zunächst jeweils 45 Personen ermittelt,
die besonders ängstlich, beziehungsweise wenig ängstlich
sind. Dann wurden die Versuchspersonen gleichmäßig
auf drei Gruppen verteilt. Eine Gruppe sah dreißig Stunden
lang Abenteuersendungen, in denen am Ende immer die Gerechtigkeit
siegte, eine andere Versuchsgruppe ebenso lang Filme, in denen
Ungerechtigkeit überwog. Die dritte Gruppe diente zur Kontrolle
und bestand aus Wenigsehern. Jennings und seine Mitarbeiter kamen
zu dem Resultat, dass nach dem Konsum der "ungerechten"
Filme bei allen Rezipienten eine Zunahme der Furcht festzustellen
war. Der Anstieg war jedoch bei den bereits zuvor schon ängstlichen
Versuchspersonen besonders deutlich. Die Vielseher "gerechter"
Sendungen sahen hingegen auch noch nach Ablauf dieses Experiments
freiwillig vermehrt Gewaltfilme. (44)
Auch wenn die hier aufgeführten Untersuchungen zur Rolle
der Gerechtigkeit in Gewaltdarstellungen nur einen kurzen Einblick
in diese Problematik bieten, steht eines fest: Die Legitimation
von Gewalt ist nicht nur in der Realität von großer
Bedeutung, sondern beeinflusst auch den Konsum fiktiver Gewalt.
Gerechtfertigte Fernsehgewalt scheint die Gewaltbereitschaft der
Rezipienten zu steigern und ist möglicherweise nicht so furchterregend,
wie violente Ungerechtigkeit. "Gerechte" und "gute"
Fernsehgewalt dürfte den Zuschauer eher eine Vorbildfunktion
bieten, da es leichter fällt sich mit ihr zu identifizieren.
Gewalt ist dadurch nicht mehr grundsätzlich etwas negatives,
sondern wird eine Frage der Motivation. Der Motivforschung stellt
sich also nicht nur die Frage, warum Menschen Gewalt konsumieren,
sondern auch weshalb bestimmte Formen der Gewalt idealisiert werden,
obwohl sie ihren "ungerechten" Versionen in nichts nachstehen.
6.
Zusammenfassung
Diese
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse zur Wirkung von medialen
Gewaltdarstellungen wird vermutlich relativ unbefriedigend sein.
Denn die Medienwirkungsforschung hat, statt Klarheit über
die Wirkungen von Fernsehgewalt zu bringen, immer wieder neue,
teilweise widersprüchliche Ansätze geliefert. Die jahrzehntelange
Forschung war zwar in der Lage, zahlreiche Erklärungsmöglichkeiten
anzubieten, aber nicht fähig, sich zwischen diesen zu entscheiden.
Wie bereits betont wurde, konnte bislang keine einzige der im
ersten Kapitel beschriebenen Wirkungstheorien wissenschaftlich
bewiesen werden. Somit gehen die bisherigen Erkenntnisse meist
nicht über fundierte Vermutungen hinaus.
Immerhin glaubt man inzwischen, die Katharsistheorie verwerfen
zu können. Die in der Medienwirkungsforschung herrschende
Meinung sieht alle Varianten dieser Theorie heute als widerlegt
an. Auch die Habitualisierungstheorie scheint sich empirisch nicht
halten zu lassen, obwohl es auch weiterhin Untersuchungen gibt,
die anscheinend Abstumpfungseffekte bei den Rezipienten belegen.
Dass das Fernsehen und andere Massenmedien die Rezipienten kurzfristig
emotional erregen können, steht außer Zweifel. Dies
gilt nicht nur für Gewaltdarstellungen, sondern auch für
alle anderen Medieninhalte. Daher können auch nicht-gewalttätige
Darstellungen (wie zum Beispiel erotische oder politische Inhalte)
Aggressionen auslösen. Eine simple Nachahmung von Gewaltdarstellungen
durch die Rezipienten wird inzwischen allerdings ausgeschlossen.
Nach der Suggestionstheorie können aber Medienereignisse
besonders empfängliche Menschen unbewusst seelisch beeinflussen,
wofür der sogenannte "Werther-Effekt" ein besonders
eindrucksvolles Beispiel ist. Nach der Theorie vom Lernen am Modell
vermittelt das Fernsehen dem Zuschauer fiktive Modelle und Handlungsmuster,
an denen er sich in vergleichbaren realen Situationen orientiert.
Es scheint, als ob diese Modelle um so eher angewendet werden,
je realistischer und erfolgreicher sie dargestellt wurden und
desto größer die Gewaltveranlagung des jeweilige Zuschauers
ist.
Bei der Aufnahme bestimmter inhaltlicher Merkmale, wie der Realitätsnähe
von Filmen oder der Rechtfertigung von medialer Gewalt, werden
unterschiedliche Wirkungen vermutet. Die Fernsehzuschauer und
auch Kinder können anscheinend sehr wohl die dargestellte
Gewalt einschätzen. Es scheint, als ob die Aggressivitätszunahme
der Rezipienten um so größer ist, je realistischer
auch die Fernsehgewalt wahrgenommen wird. Die Zuschauer werten
die in Nachrichtensendungen oder Kriminalfilmen gezeigte Gewalt
also höher, als jene in Abenteuer- oder Zeichentrickfilmen.
Fernsehgewalt wird aber auch jeweils nach ihrer Rechtfertigung
eingeschätzt. Als "gerecht" dargestellte Gewalt
erzeugt scheinbar mehr Aggressivität und weniger Angst bei
den Zuschauern, als "ungerechte" Gewalt.
Einige der seltenen Langzeituntersuchungen weisen darauf hin,
dass Gewaltdarstellungen im Fernsehen nicht nur kurzfristige,
sondern auch längerfristige Wirkungen auf die Zuschauer haben.
So werden allmähliche Einstelungsänderungen der Rezipienten
vermutet, die sich in vermehrter Aggressivität und Pessimismus
ausdrücken. Bei Langzeitstudien, wie auch bei kurzfristiger
angelegten Untersuchungen, werden häufig nur sehr niedrige
Korrelationswerte ermittelt. Diese minimalen Messwerte werden
von den Vertretern der Stimulationstheorie und den Anhängern
der Wirkungslosigkeitstheorie jeweils in ihrem Sinne interpretiert.
7.
Ausblick und Beurteilungen
Die
Medienforschung sieht sich in den jüngsten Jahren mit dem
Aufkommen der sogenannten "Neuen Medien" Entwicklungen
gegenüber, deren endgültiger Verlauf heute noch nicht
absehbar ist. Schon alleine die bloße Erweiterung des klassischen
Fernsehsystems durch private Programmanbieter und Video-Cassetten
hat gravierende Auswirkungen auf das Ausmaß, die Brutalität
und den Konsum von Gewaltdarstellungen. Insbesondere Leihcassetten
mit Gewaltvideofilmen, wie sie von Videotheken in großen
Mengen angeboten werden, sind dabei ins Blickfeld der Diskussion
gelangt. Derartige Action- und Horrorvideos beinhalten meist nur
noch Aneinanderreihungen brutalster Gewaltszenen. Hierbei treten
klassische Filminhalte, wie die Handlungsstruktur, die dargestellten
Charaktere oder die Filmdialoge völlig in den Hintergrund.
Diese Gewaltdarstellungen werden lediglich als Selbstzweck gezeigt.
Von ihnen werden vor allem schädliche Auswirkungen auf Kinder
und Jugendliche befürchtet. Seit April 1985 ist eine Neufassung
des Jugendschutzgesetzes (JSchÖG) in Kraft, die erstmals
auch die Weitergabe von bespielten Videocassetten an Minderjährige
reglementiert. Es gibt jedoch Schätzungen, nach denen in
der Bundesrepublik bereits circa 23 Prozent der 12-Jährigen
und etwa 58 Prozent der 16-Jährigen Heranwachsenden derartige
brutale Gewaltvideofilme konsumiert haben. (45)
Durch diese neue Dimension der Mediengewalt hat teilweise auch
die Suche nach neuen Forschungsansätzen begonnen. So sprechen
sich beispielsweise Dagmar Henningsen und Astrid Strohmeier bei
der Erforschung medialer Gewaltdarstellungen für eine Motivforschung
statt einer Wirkungsforschung aus. Sie sind der Ansicht, "dass
die herkömmliche Wirkungsforschung allein dem Problem jugendlichen
Gewaltvideokonsums und den sich daraus ergebenden Folgen für
die pädagogische Praxis nicht gerecht werden kann. Es erscheint
sehr verwunderlich, dass zum Problem "Mediengewalt"
noch keine Motivforschung hinsichtlich der Rezipienten betrieben
wurde (jedenfalls ist uns nichts bekannt)." (46) Henningsen
und Strohmeier untersuchten mit Hilfe eines umfangreichen Fragebogens
das Ausmaß und die Motive der Videonutzung von 310 Jugendlichen
beiderlei Geschlechts. Sie kamen in ihrer Untersuchung bezüglich
der möglichen Gründe für einen regelmäßigen
Konsum von Gewaltvideos zu mehreren Erklärungen: Zum einen
schaffen Gewaltvideos Gemeinschaftserlebnisse mit Gleichaltrigen
und wirken der Langeweile entgegen. Zum anderen bieten die Videofilme
Angstlusterlebnisse und den Reiz gebrochener Tabus (in den Filmen
selbst und durch das verbotene Anschauen). Außerdem sind
die Jugendlichen durch die ausgefeilte Tricktechnik der Filme
fasziniert. (47)
Henningsen und Strohmeier müssen zum Abschluss ihrer Studie
allerdings einräumen, dass ihr Fragebogen Mängel aufweist.
So können sie beispielsweise bei einigen der ermittelten
Zusammenhänge nicht feststellen, ob sie Ursachen des Gewaltkonsums
sind oder etwa Wirkungen. (48) Außerdem können auch
sie keine Aussagen darüber machen, wie Gewaltvideofilme überhaupt
wirken. Dies war zwar nicht das Ziel der Untersuchung. Aber es
bleibt dadurch die Ungewissheit, ob die gefunden Ursachen des
Gewaltkonsums überhaupt in eine Wirkung münden und somit
von Bedeutung sind. Henningsen und Strohmeier sprechen sich für
die (umstrittene) Habitualisierungstheorie aus und vermuten einen
Lerneffekt, gegen den allerdings die Realitätsferne der Videoschocker
spricht. (49)
Andere Erklärungsversuche zum Konsum von Gewaltvideos bedienen
sich psychoanalytischer Modelle. Wie bereits erläutert, haben
hier auch einige Wirkungstheorien ihren Ursprung - so zum Beispiel
die verworfenen Katharsistheorie oder die zweifelhafte Inhibitionstheorie.
Die psychoanalytischen Erklärungsmodelle zur Motivforschung
gehen davon aus, dass Gewaltdarstellungen unbewusste Bedürfnisse
der Menschen ansprechen. Bernd Ratzke verweist auf die psychische
Entwicklung des Menschen (Geburtstrauma, orale und anale Phase,
genitale Sexualität) und den sich daraus ergebenden Frustrationen.
Er glaubt, dass in Horrorvideos orale, anale, oder phallische
Aggressionen und Kastrationsängste (Kannibalenfilme), Inzest-Wünsche,
ödipale Konflikte und die Furcht vor dem Alleinsein (Psychopathenfilme)
sowie die Angst vor dem Tod (Zombifilme) angesprochen werden.
(50) Luise Wagner-Winterhager ist der Ansicht, dass sexuell-sadistische
Gewaltvideofilme den unterbewusst vorhandenen Phantasien männlicher
Jugendlicher entsprechen. Heranwachsende Jungen würden derartige
Gewaltdarstellungen insbesondere dann konsumieren, wenn ihnen
die Loslösung von der Mutter Probleme bereitet. (51)
Die
angeführten Beispiele zeigen, dass es in der Gewaltforschung
verschiedene empirische und theoretische Ansätze gibt, auch
nach den Motiven für den Konsum von Gewaltdarstellungen zu
suchen. Die überwiegende Ausrichtung der Forschung auf die
Medienwirkungen ist meiner Meinung nach zu einseitig und wird
dem komplexen Gebiet des Gewaltkonsums nicht gerecht. Es reicht
nicht aus, nur Phänomene zu beschreiben und dabei deren Ursachen
zu übergehen. Dies ist deshalb besonders wichtig, weil erst
das Wissen über die Gründe für die Beliebtheit
von Gewaltsendungen mögliche soziale Konsequenzen erlaubt.
Laut Henningsen und Strohmeier "hat z.B. die Schule als Institution
der Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft kaum mehr emotionale
Freiräume und Erlebnisanreize für Kinder und Jugendliche
(...) zu bieten". (52) Sie vermuten daher, dass sich die
Heranwachsenden mit Hilfe von Gewaltvideocassetten Ersatzreize
verschaffen. Aus ihrer pädagogisch orientierten Sicht fordern
sie deshalb Reformen im Schulwesen. (53)
Eine verstärkte Gewaltmotivforschung kann sehr sinnvoll sein,
sofern sie auch Anregungen zur Verbesserung etwaiger gesellschaftlicher
Missstände liefert. Hier liegt ein Berührungspunkt der
Kommunikationswissenschaft zu anderen Sozialwissenschaften. Doch
können die Motive für den Gewaltkonsum nicht losgelöst
von den Medienwirkungen betrachtet werden. Die Frage nach der
Wirkung von Gewaltdarstellungen ist gleichzeitig auch eine Frage
nach dem Sinn der Motivforschung, denn wäre Fernsehgewalt
wirkungslos, hätten auch die Konsumgründe keine Bedeutung.
Wirkungs- und Motivforschung sollten sich daher ergänzen
und auch interdisziplinär mit der Soziologie oder Pädagogik
zusammenarbeiten.
Die bisherige Wirkungsforschung hat hinreichend mögliche
Kurzzeitwirkungen aufgezeigt. Dass das Fernsehen kurzfristige
emotionale Effekte haben und das Verhalten der Zuschauer beeinflussen
kann, steht mittlerweile außer Zweifel. Mögliche Langzeitwirkungen
auf die Einstellungen der Rezipienten wurden hingegen von der
Forschung bislang vernachlässigt. Zudem wurden die meisten
Studien unter Laborbedingungen durchgeführt. Dies hat nicht
nur zur Folge, dass sich diese Laborergebnisse nur beschränkt
auf die Realität übertragen lassen. Häufig sind
auch die Versuchsgruppen nur sehr klein und nicht repräsentativ.
Die Medienwirkungsforschung sollte sich daher künftig stärker
langfristigen Felduntersuchungen zuwenden.
Die Vielzahl und die Widersprüchlichkeit der bestehenden
Wirkungstheorien konnte durch die empirische Forschung kaum reduziert
werden. Immer noch existieren zahlreiche Wirkungsmodelle nebeneinander,
ohne das auch nur eines wissenschaftlich wirklich bewiesen werden
konnte. Viele der bisher vorliegenden Untersuchungsergebnisse
lassen sich aufgrund niedriger Korrelationswerte sowohl als negative
Wirkung wie auch als Wirkungslosigkeit von Gewaltkonsum interpretieren.
Diese Zweideutigkeit lässt sich derzeit nicht ausräumen.
Doch vielleicht liegt in dieser Unklarheit der vorliegenden Ergebnisse
auch eine Chance der Wirkungsforschung. Medienwirkungen müssen
als vielschichtige Prozesse verstanden werden, die sich nicht
einfach durch monokausale Ansätze erklären lassen. Es
sollte daher auch möglich sein, mehrere der entwickelten
Wirkungstheorien gleichzeitig nebeneinander gelten zu lassen.
Auch wenn diese Erklärungsansätze einzeln betrachtet
sehr unvollkommen sind, ergeben sie alle gemeinsam doch ein Ganzes,
in dem die Vielschichtigkeit von Gewaltwirkungen zum Ausdruck
kommt. So ist beispielsweise denkbar, dass Gewaltdarstellungen
beim Rezipienten sowohl einen Lerneffekt haben, als auch aggressionssteigernd
wirken. Oder dass Zuschauer, bei denen Fernsehgewalt auch langfristig
keinerlei Wirkungen zeigt, plötzlich durch ein einziges bestimmtes
mediales Schlüsselereignis in ihrem Verhalten beeinflusst
werden. Gewaltdarstellungen werden vermutlich von jedem Rezipienten
unterschiedlich wahrgenommen und wirken auf diese auch verschieden.
Daher gehört zu einem umfassenden Verständnis der Rezeptions-
und Wirkungsprozesse von Gewaltsendungen auch die Einsicht, dass
Mediengewalt nicht unabhängig von der individuellen Entwicklung
und der konkreten Alltagssituation des Zuschauers betrachtet werden
kann. Laboruntersuchungen haben hier ihre entscheidende Schwäche.
Medienwirkungen sind das Resultat zahlreicher gesellschaftlicher
Faktoren. Die Anhänger der Wirkungslosigkeitstheorie weisen
mit Recht darauf hin, dass es neben den Massenmedien noch viele
andere Sozialisationsfaktoren gibt. Dies lässt zwar nicht
zwangsläufig den Schluss zu, dass die Wirkungen medialer
Gewaltdarstellungen vernachlässigbar sind. Aber es wird deutlich,
dass sich die Medienwirkungsforschung zukünftig vielschichtiger
Erklärungsansätze bedienen sollte.
Fußnoten
(1)
In der Publizistik liegen bereits zahlreiche Gewalt-Definitionen
vor, wobei hiermit exemplarisch auf jene von Helga Theunert hingewiesen
sei (vgl. Helga Theunert: Gewalt in den Medien - Gewalt in der
Realität. Gesellschaftliche Zusammenhänge und pädagogisches
Handeln. Opladen 1987, S. 40 ff.). Im folgenden wurde allerdings
auf dieser Basis eine eigene, umfassendere Begriffsbestimmung
entwickelt, weil die vorgefundenen Gewalt-Definitionen nicht alle
in dieser Arbeit behandelten Aspekte von Fernsehgewalt berücksichtigen.
(2) Vgl. Seymour Feshbach: The Effects of Aggressive Content in
Television Programmes upon the Aggressive Behaviour of the Audience.
in: L. Arons / M. A. May (Hrsg.): Television and Human Behaviour.
Tomorrow's Research in Mass Communications. New York 1976; zitiert
nach: Helga Theunert: Gewalt in den Medien... a.a.O., S. 11
(3) Vgl. B. H. Kniveton: Angst statt Aggression - eine Wirkung
brutaler Filme. in: Fernsehen und Bildung, o.Jhg., Heft 12, 1978,
o.S.; zitiert nach: Helga Theunert: Gewalt in den Medien... a.a.O.,
S. 11 f.
(4) Vgl. Seymour Feshbach / R. D. Singer: Television and Aggression.
An Experimental Field Study. San Francisco 1971; zitiert nach:
Michael Kunczik: Gewaltforschung. In: Michael Schenk: Medienwirkungsforschung.
Tübingen 1987, S. 170; sowie nach: Helga Theunert: Gewalt
in den Medien... a.a.O., S. 11
(5) Vgl. Leonard Berkowitz: The Contagion of Violence. An SÄR
Mediational Analysis of Some Effects of Observed Aggression. in:
Nebraska Symposion on Motivation, o.Jhg., Vol. 18, 1970, S. 95
- 135; zitiert nach: Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O.,
S. 170 f.; sowie nach: Helga Theunert: Gewalt in den Medien...
a.a.O., S. 12
(6) Vgl. E. E. Maccoby: Die Wirkungen des Fernsehens auf Kinder.
in: W. Schramm (Hrsg.): Grundfragen der Kommunikationsforschung.
München 1964; zitiert nach: Helga Theunert: Gewalt in den
Medien... a.a.O., S. 12
(7) Vgl. G. Gerbner / L. Gross: Living with Television. The Violence
Profile. in: Journal of Communication, o.Jhg., Vol. 26, 1976,
S. 173 - 199; zitiert nach: Helga Theunert: Gewalt in den Medien...
a.a.O., S. 12
(8) Vgl. D. P. Phillips: The Influence of Suggestion on Suicide.
in: American Sociological Review, o.Jhg., Vol. 39, 1974, S. 340
- 354; zitiert nach: Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O.,
S. 177
(9) Vgl. Albert Bandura: Social Learning Theory of Identificatory
Processes. in: D. A. Goslin: Handbook of Socialization Theory
and Research. Chicago 1969, S. 213 - 262; zitiert nach: Michael
Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O., S. 174 f.
(10) Vgl. O. Kelmer / A. Stein: Fernsehen. Aggressionsschule der
Nation? Die Entlarvung eines Mythos. Bochum 1975; zitiert nach:
Helga Theunert: Gewalt in den Medien... a.a.O., S. 12
(11) Vgl. Seymour Feshbach: The Stimulating vs. Cathartic Effects
of a Vicarious Aggressive Activity. in: Journal of Abnormal and
Social Psychology, o.Jhg., Vol. 63, 1961, S. 381 - 385; zitiert
nach: Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O., S. 168 f.
(12) Vgl. Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O., S. 168 f.
(13) Vgl. Seymour Feshbach / R. D. Singer: Television and Aggression...
a.a.O., nach R. Bergler / U. Six 1979, Psychologie des Fernsehens.
Wirkungsmodelle und Wirkungseffekte unter besonderer Berücksichtigung
der Wirkungen auf Kinder und Jugendliche. Bern - Stuttgart - Wien
1979, S. 212 f.; zitiert nach: Forschungsgruppe Kammerer: Ergebnisse
der Mediennutzungs- und Medienwirkungsforschung unter Berücksichtigung
bildungspolitisch relevanter Aspekte. München 1982, S. 219
f.
(14) Vgl. Forschungsgruppe Kammerer: Ergebnisse der Mediennutzungs-
und Medienwirkungsforschung... a.a.O., S. 220
(15) Vgl. ebenda, S. 217
(16) Vgl. Seymour Feshbach / R. D. Singer: Television and Aggression...
a.a.O.; zitiert nach: Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O.,
S. 170
(17) Vgl. W. D. Wells: Television and Aggression. Replication
of an Experimental Field Study. Chicago 1973; zitiert nach: Michael
Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O., S. 170
(18) Vgl. Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O., S. 168
(19) Siehe ebenda, S. 193
(20) Vgl. beispielsweise auch Helga Theunert: Gewalt in den Medien...
a.a.O., S. 11; etwas zurückhaltender Forschungsgruppe Kammerer:
Ergebnisse der Mediennutzungs- und Medienwirkungsforschung...
a.a.O., S. 220 f.
(21) Vgl. Leonard Berkowitz: The Contagion of Violence... a.a.O.,
S. 95 - 135; zitiert nach: Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O.,
S. 170 f.
(22) Vgl. Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O., S.171 f.
(23) Vgl. R. D. Parke u.a.: Some Effects of Violent and Nonviolent
Movies on the Behavior of Juvenile Delinquents. in: Leonard Berkowitz
(Hrsg.): Advances in Experimental Social Psychologie, o.Jhg.,
Vol. 10, New York 1977, S. 135 - 172; zitiert nach: Michael Kunczik:
Gewaltforschung. a.a.O., S. 172
(24) Vgl. Forschungsgruppe Kammerer: Ergebnisse der Mediennutzungs-
und Medienwirkungsforschung... a.a.O., S. 217
(25) Vgl. Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O., S. 172
(26) Vgl. R. S. Drabmann / M. H. Thomas: Does Media Violence Increase
Children's Toleration of Real-Life Aggression? in: Developement
Psychologie, o.Jhg., Vol. 10, 1974, S. 418 - 421; sowie M. H.
Thomas / R. S. Drabmann: Toleration of Real-Life Aggression as
a Function of Exposure to Televised Violence and Age of Subject.
in: Merrill-Palmer Quarterly, o.Jhg., Vol. 21, 1975, S. 227 -
232; zitiert nach: Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O., S.
173 f.
(27) Vgl. Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O., S. 174
(28) Vgl. A. N. Doob / G. E. Macdonald: Television Viewing and
Fear of Victimization. Is the Relationship causal? in: Journal
of Personality and Social Psychology, o.Jhg., Vol. 37, 1979, S.
170 - 179; zitiert nach: Helga Theunert: Gewalt in den Medien...
a.a.O., S. 12
(29) Vgl. D. P. Phillips: The Influence of Suggestion on Suicide.
in: American Sociological Review, o.Jhg., Vol. 39, 1974, S. 340
- 354; sowie K. A. Bollen / D. P. Phillips: Suicidical Motor Vehicle
Fatalities in Detroit. A Replication. in: American Journal of
Sociology, o.Jhg., Vol. 87, 1981, S. 404 - 412; sowie K. A. Bollen
/ D. P. Phillips: Imitative Suicides. A National Study of the
Effects of Television News Stories. in: American Sociological
Review, o.Jhg., Vol. 47, 1982, S. 802 - 809; sowie D. P. Phillips:
The Behavioral Impact of Violence in the Mass Media. in: Sociology
and Social Research, o.Jhg., Vol. 66, 1982, S. 387 - 398; sowie
D. P. Phillips: The Impact of Mass Media Violence on U.S. Homicides.
in: American Sociological Review, o.Jhg., Vol. 48, 1983, S. 560
- 568; zitiert nach: Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O.,
S. 177 f.
(30) Vgl. Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O., S. 177
(31) Vgl. Albert Bandura: Aggression. Eine sozial-lerntheoretische
Analyse. Stuttgart 1979; zitiert nach: Helga Theunert: Gewalt
in den Medien... a.a.O., S. 14 ff.
(32) Vgl. Helga Theunert: Gewalt in den Medien... a.a.O., S. 17
ff.; weniger ausführlich Michael Kunczik: Gewaltforschung.
a.a.O., S. 175 f.
(33) Vgl. Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O., S. 176 f.
(34) Vgl. ebenda, S. 178 f.
(35) Vgl. J. L. Singer / D. G. Singer / W. S. Rapaczynski: Famility
Patterns and Television Viewing as Predictors of Childrens'Beliefs
and Aggression. in: Journal of Communication, o.Jhg., Vol. 34,
1984, S. 73 - 89; zitiert nach: Michael Schenk: Medienwirkungen.
Kommentierte Auswahlbibliographie der anglo-amerikanischen Forschung.
Tübingen 1987, S. 72 f.
(36) Siehe Michael Schenk: Medienwirkungen... a.a.O., S. 72
(37) Vgl. William A. Belson: Television Violence and the Adolescent
Boy. Westmead 1978; zitiert nach: Michael Kunczik: Gewaltforschung.
a.a.O., S. 189 f.; sowie nach: Forschungsgruppe Kammerer: Ergebnisse
der Mediennutzungs- und Medienwirkungsforschung... a.a.O., S.
213 f.
(38) Vgl. Michael Kunczik: Gewaltforschung. a.a.O., S. 190 f.;
sowie Forschungsgruppe Kammerer: Ergebnisse der Mediennutzungs-
und Medienwirkungsforschung... a.a.O., S. 215
(39) Vgl. J. R. Milavsky u.a.: Television and Aggression. Results
of a Panel Study. New York 1982; zitiert nach: Michael Kunczik:
Gewaltforschung. a.a.O., S. 191 ff.
(40) Vgl. Tom van der Voort: Kinderen en TV-geweld. Waarnehming
en Beleving. Lisse 1982; zitiert nach: Michael Kunczik: Gewaltforschung.
a.a.O., S. 181
(41) Vgl. C. Atkin: Effects of Realistic TV Violence vs. Fictional
Violence on Aggression. in: Journalism Quarterly, o.Jhg., Vol.
60, 1983, S. 615 - 621; zitiert nach: Michael Schenk: Medienwirkungen...
a.a.O., S. 56 f.
(42) Siehe Michael Schenk: Medienwirkungen... a.a.O., S. 57
(43) Vgl. M. H. Thomas: Desensitization to Portrayals of Real-Life
Aggression as a Function of Exposure to Television Violence. in:
Journal of Personality and Social Psychology, o.Jhg., Vol. 35,
1977, S. 450 - 458; zitiert nach: Michael Schenk: Medienwirkungen...
a.a.O., S. 64 f.
(44) Vgl. B. Jennings / R. A. Carveth / D. Brown: Television Viewing
and Anxiety. An Experimental Examination. in: Journal of Communication,
o.Jhg., Vol. 31, 1981, S. 106 - 119; zitiert nach: Michael Schenk:
Medienwirkungen... a.a.O., S. 60 f.
(45) Zu diesen Zahlenangaben vgl. Jobst Kraus: Gewalt in den Medien.
Gefahr für Kinder oder harmlose Zerstreuung? in: Medien-Pädagogik,
o.Jhg., Heft 2, 1985, o.S.; zitiert nach: Beratungsstelle Medienpädagogik
im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik e.V. (Hrsg.):
Kinder und Fernsehen. Versinken in der Bilderflut? Frankfurt 1986,
S. 75
(46) Siehe Dagmar Henningsen / Astrid Strohmeier: Gewaltdarstellungen
auf Video-Cassetten. Ausmaß und Motive jugendlichen Gewaltvideokonsums.
Bochum 1985, 2.Auflage, S. 26
(47) Vgl. ebenda, S. 89 ff.
(48) Vgl. ebenda, S. 97
(49) Vgl. ebenda, S. 100 f.
(50) Vgl. Bernd Ratzke: Bedürfnis nach Gewalt. Psychologische
Erklärungsversuche zum Konsum von Horrorfilmen. in: Medien-Pädagogik,
o.Jhg., Heft 2, 1984, o.S.; zitiert nach: Beratungsstelle Medienpädagogik
im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik e.V. (Hrsg.):
Kinder und Fernsehen. Versinken in der Bilderflut? Frankfurt 1986,
S. 85 ff.
(51) Vgl. Rotraut Hoeppel: Psychologie des Filmerlebens. Frankfurt
1986, S. 48 f.
(52) Siehe Dagmar Henningsen / Astrid Strohmeier: Gewaltdarstellungen
auf Video-Cassetten. a.a.O., S. 102
(53) Vgl. ebenda, S. 102 ff.