"Neue
psychische und ethische Anforderungen an Nachrichtenjournalisten."
(in: EJO-Online.eu)
Von
meinem ursprünglichen Aufsatz "Newstrends:
Zur Zukunft des Nachrichtenjournalismus" habe
ich auch einen stark gekürzten Auszug am
14. Juni 2016 bei EJO-Online.eu
veröffentlicht:
Digitalisierung
und Internet haben nicht nur den Journalismus völlig verändert,
sondern auch das Nutzerverhalten. Dadurch entstehen für Nachrichtenredaktionen
neue Anforderungen, auf die sie vorbereitet sein sollten.
Mediennutzerinnen
und -nutzer erwarten, dass aktuelle Informationen nicht nur über
Zeitung, Radio und Fernsehen, sondern auch über das Internet
schnell und zuverlässig verbreitet werden. Nachrichtenredaktionen
müssen deshalb (egal ob sie ursprünglich nur im Print-Journalismus
oder im Rundfunk veröffentlicht haben) eine schnelle und
zuverlässige Online-Verbreitung beherrschen – auch
über soziale Netzwerke. Zugleich müssen Nachrichtenredaktionen
in der Lage sein, neben klassischen Recherchemethoden auch die
Möglichkeiten des Internets auszuschöpfen. Hierzu gehören
eine über bloßes Googeln hinausgehende qualifizierte
Online-Recherche und die systematische Beobachtung sozialer Netzwerke.
Eine besondere Herausforderung für Redaktionen ist der Umgang
mit (bewegten) Bildern: Einerseits müssen sie für ihre
eigenen Internetauftritte attraktive Foto- und Videoangebote haben
und diese auch für soziale Netzwerke optimieren. Andererseits
müssen sie in der Lage sein, fremdes Bildmaterial für
die eigene Berichterstattung auszuwerten und vor einer Weiterverbreitung
zu verifizieren.
Umgang mit
Bildmaterial aus dem Internet
Diese
Anforderungen bedeuten für Nachrichtenredaktionen bei ungewöhnlichen
Ereignislagen (wie Anschlägen oder Katastrophen) nicht nur
eine quantitative, sondern auch eine qualitative Mehrbelastung.
Zum einen wird in solchen Situationen in Redaktionen zusätzliches
Personal benötigt – beispielsweise zum Social-Media-Monitoring
oder zur Bild-Verifizierung. Zum anderen kann der direkte, ungefilterte
Zufluss von schockierenden Fotos und Videos für Nachrichtenjournalisten
eine psychische Belastung bedeuten, auf die sie nicht ausreichend
vorbereitet sind. Zuletzt haben die Anschläge in Paris 2015
und das Zugunglück bei Bad Aibling 2016 gezeigt, dass aktuelle
(bewegte) Bilder inzwischen nicht nur von Journalisten über
Massenmedien, sondern auch von Augenzeugen über soziale Medien
verbreitet werden.
Somit könnten künftig auch Live-Videos beispielsweise
von einem Schulamoklauf oder einer Massenpanik in sozialen Netzwerken
auftauchen. Außerdem ist zu befürchten, dass bei Anschlägen
nicht nur Opfer, sondern auch die Täter in Echtzeit (bewegte)
Bilder zu propagandistischen Zwecken über das Internet verbreiten.
Nachrichtenredaktionen sollten sich deshalb darauf einstellen,
dass sie bei Anschlägen, Geiselnahmen oder Unglücken
schockierende Fotos und Videos vom unmittelbaren Geschehen verarbeiten
müssen. Der direkte, ungefilterte Zufluss von (bewegten)
Bildern mit Gewalt, Leid und Tod stellt Nachrichtenjournalisten
vor neue psychische, aber auch ethische Anforderungen.
Trauma-Vorbeugung
in Nachrichtenredaktionen
Die
Forschung hat traumatisierende Erfahrungen von Journalisten bislang
vor allem im Zusammenhang mit Erlebnissen von Reportern bei Katastrophen
oder in Kriegssituationen thematisiert. Mit den psychischen Belastungen
für Journalisten in Nachrichtenredaktionen durch schockierende
Fotos und Videos im Internet hat sich die Forschung dagegen erst
vereinzelt beschäftigt. So hat das britische Forschungsinstitut
Eyewitness
Media Hub in einer weltweiten Umfrage ermittelt, dass 52 Prozent
der teilnehmenden Journalisten mehrmals in der Woche schockierendem
Bildmaterial ausgesetzt sind. 40 Prozent der Befragten gaben an,
dass dadurch ihr Privatleben beeinträchtigt wird, weil sie
beispielsweise unter Angstzuständen oder Alpträumen
leiden. Eyewitness Media Hub empfiehlt unter anderem, Journalisten
darin zu schulen, Symptome für psychische Belastungen zu
erkennen und sie als normale menschliche Reaktion zu akzeptieren.
In anderen Berufen (wie bei Polizei oder Rettungskräften)
ist eine psychologische Betreuung nach schockierenden Situationen
längst üblich. Nachrichtenjournalisten und redaktionen
sollten daher nach meiner Ansicht über folgende Maßnahmen
nachdenken:
Bildethik in
Nachrichtenredaktionen
Neben
solchen psychischen Belastungen stehen Nachrichtenjournalisten
durch ihre Arbeit mit (bewegten) Bildern aus dem Internet auch
vor besonderen ethischen Anforderungen. Das Thema ist nicht neu
und wird beispielsweise im Pressekodex des Deutschen Presserates
behandelt. Die Notwendigkeit, fremdes Bildmaterial für die
eigene Berichterstattung auszuwerten und zu verwenden, wirft aber
für Nachrichtenredaktionen verschiedene Fragen auf.