"Roboterjournalismus
stellt neue Anforderungen."
(in: EJO-Online.eu)
Von
meinem ursprünglichen Aufsatz "Newstrends:
Roboterjournalismus in Nachrichtenredaktionen. Wie News-Bots die
Nachrichtenproduktion verändern." habe
ich auch einen stark gekürzten Auszug am
29. Mai 2018 bei EJO-Online.eu
veröffentlicht:
Digitalisierung
und Internet haben den Journalismus völlig verändert,
und der Medienwandel geht weiter. Vor allem durch den sogenannten
Roboterjournalismus entstehen für Nachrichtenredaktionen
neue Anforderungen, auf die sie vorbereitet sein sollten.
Spätestens
seit den WikiLeaks-Enthüllungen 2010 zu den Kriegen im Irak
und in Afghanistan hat sich die automatische Auswertung und Aufbereitung
großer Datenmengen im Journalismus immer mehr verbreitet.
Über einen solchen Datenjournalismus hinaus wächst seit
einigen Jahren auch der sogenannte Roboterjournalismus, in dem
Daten nicht bloß ausgewertet und aufbereitet, sondern darüber
hinaus automatisch zu Nachrichtentexten verarbeitet werden. Dabei
sind die Grenzen zwischen Daten- und Roboterjournalismus fließend.
Einsatzgebiete
von Nachrichten-Bots
Die
automatische Produktion journalistischer Texte wird zwar als Roboterjournalismus
bezeichnet, aber statt dem Maschinen-Begriff "Roboter"
sollte man besser "Bot" verwenden. Bots sind nämlich
Programme, die automatisch anhand festgelegter Algorithmen bestimmte
Aufgaben erfüllen. Solche Nachrichten-Bots können nicht
nur zahlengeprägte Meldungen zu Finanzdaten, Lottozahlen,
Sportergebnissen, Schadstoff- und Wetterdaten oder Verkehrsdaten
erstellen. Machbar sind auch (über Finanzdaten hinausgehende)
Wirtschaftsmeldungen zu kleineren Unternehmen und (über Spielergebnisse
hinausgehende) Sportmeldungen zu Kreisligen oder Randsportarten.
Es ist aber auch möglich, Nachrichten-Bots für Lokalmeldungen
oder Promi-News einzusetzen.
Hier einige Beispiele: In den USA erstellt das Unternehmen Automated
Insights mit seinem Programm Wordsmith für die Nachrichtenagentur
Associated Press (AP) automatisch Wirtschafts-
und Sportmeldungen. In Großbritannien arbeiten das Startup
Urbs Media und die Nachrichtenagentur Press Association (PA) im
Projekt Radar zusammen, um aus nationalen Statistiken automatisch
Lokalmeldungen
zu produzieren. In Deutschland erzeugen die Software-Unternehmen
Retresco und Sportplatz Media mit ihrem Programm Textengine automatisch
Vor-
und Nachberichte der Fußballspiele aller deutschen Ligen.
Und die Firma Aexea erstellt mit ihrer Software AX Semantics gemeinsam
mit der Stuttgarter Zeitung zweimal täglich automatische
Meldungen
für das "Feinstaub-Radar".
Vorteile
automatischer Textproduktion
Die
Vorteile von automatischen gegenüber menschlichen Textproduzenten
sind offenkundig: Nachrichten-Bots werden nie krank, müde
oder urlaubsreif, sie machen bei korrekter Programmierung keine
Fehler und sie können in kurzer Zeit riesige Textmengen erzeugen.
Dadurch betragen die Kosten nur wenige Cent pro Meldung. Häufige
Einsatzbereiche sind Themen, die Journalisten wegen zu wenig Zeit
oder zu kleiner Zielgruppe selbst bearbeiten können. Die
beiden wichtigsten Vorteile automatischer Textproduktion mit Hilfe
von Nachrichten-Bots sind also, die Personalkosten zu senken und
den Textausstoß zu erhöhen.
Somit sind einerseits Nachrichtenangebote im Internet denkbar,
die vollständig automatisch mit Texten von Nachrichtenagenturen
und -Bots gefüllt werden. Ein solches Billigmodell könnte
im Extremfall sogar völlig ohne Journalisten auskommen, weil
nur noch technische Fachleute wie Computerlinguisten, Datenanalysten
oder Programmierer benötigt würden. Andererseits könnten
Redaktionen durch Nachrichten-Bots aber auch von Routineaufgaben
entlastet werden und Zeit für anspruchsvolle Aufgaben wie
Analysen, Kreativität und Recherchen gewinnen. Bei einem
solchen Qualitätsmodell könnten sich die Journalisten
auf fachkundig einordnende, originell geschriebene, sorgfältig
recherchierte Beiträge konzentrieren. Inhalte, die nur wenig
Einordnung, Originalität und Recherche benötigen, ließen
sich dagegen von Bots erstellen und würden die journalistischen
Qualitätsbeiträge nur ergänzen. So könnten
Journalisten die Analysen und Kommentare zu einigen Spitzenspielen
des aktuellen Spieltages der Fußball-Bundesliga schreiben,
während Bots "bloß" die Spielberichte und
Tabellen für hunderte Begegnungen von der Ersten Bundesliga
bis hinab zu den Kreisligen zuliefern. Oder Redakteure würden
die hintergründigen Unternehmensanalysen verfassen, während
die Nachrichten-Bots "nur" tausende automatisch produzierte
Finanzmeldungen und Börsenberichte ergänzen.
Auch die Stärken von menschlichen gegenüber automatischen
Textproduzenten sind somit deutlich: Nachrichten-Bots sind nicht
in der Lage, quellenkritisch, phantasievoll oder investigativ
zu arbeiten. Die erfolgversprechendste Strategie im Konkurrenzkampf
mit Bots ist für Journalisten also, sich vom Termin- und
Verlautbarungsjournalismus zu verabschieden und auf fachkundig
einordnende, originell geschriebene, sorgfältig recherchierte
Beiträge zu besinnen. Wenn Journalisten wieder auf diese
journalistischen Tugenden setzen, werden sie weitgehend unersetzbar
bleiben.
Ethik im Roboterjournalismus
Die
wachsende Bedeutung von Roboterjournalismus sollte nicht zu dem
Trugschluss führen, dass dadurch die Berichterstattung im
Allgemeinen oder die Nachrichten im Besonderen automatisch neutraler
oder objektiver werden. Daten sind keineswegs neutral, weil sie
jeweils in ihren Zusammenhängen betrachtet und richtig interpretiert
werden müssen. Redaktionen sollten deshalb beim Einsatz von
Nachrichten-Bots die Datenquellen offenlegen und die Zuverlässigkeit
der Daten regelmäßig prüfen. Grundsätzlich
sollte die Arbeit von Bots auch im laufenden Routinebetrieb ständig
überwacht werden.
Ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Frage, in welchem Ausmaß
und in welchen Bereichen sich die automatische Textproduktion
mit Hilfe von Nachrichten-Bots durchsetzen wird, ist deren Akzeptanz
durch die Nutzer. Es ist allerdings zu erwarten, dass die meisten
Menschen die Texte von automatischen und menschlichen Produzenten
gar nicht unterscheiden können. Im Gegenteil: Studien belegen,
dass viele Nutzer die Texte von Bots sogar glaubwürdiger
und informativer
finden, als die von Journalisten. Redaktionen sollten Ihre Nutzer
dennoch darüber informieren, welche Texte mit Hilfe eines
Nachrichten-Bots erstellt wurden. Das Vertrauen in die Medien,
insbesondere in den Bot-unterstützten Journalismus, kann
nur durch Transparenz bewahrt werden.
Die Nachrichtenproduktion mit Hilfe von Roboterjournalismus stellt
Journalisten also vor neue ethische Anforderungen. Dabei müssen
Nachrichtenredaktionen nicht nur journalistische, sondern auch
andere Gesichtspunkte berücksichtigen:
Bei
letzterem sollte beachtet werden, dass Roboterjournalismus die
Arbeit von Nachrichtenjournalisten erleichtern und beschleunigen
kann, aber vermutlich zu Arbeitsverdichtung und Personalabbau
führt. Dieser Prozess sollte von Redaktionen nicht nur erlitten,
sondern aktiv gestaltet werden. Journalisten sollten nicht versuchen,
Nachrichten-Bots zu besiegen, sondern lernen, mit ihnen zu arbeiten.
Erstveröffentlichung:
https://www.stefre.de/html/nachrichtenbots.html
Dieser Beitrag
wurde veröffentlicht
am 29. Mai 2018 bei EJO-Online.eu